Urteil des Gerichtshofes (Große Kammer) vom 10. Februar 2009. Allianz SpA und Generali Assicurazioni Generali SpA gegen West Tankers Inc. Ersuchen um Vorabentscheidung: House of Lords - Vereinigtes Königreich. Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche -Verordnung (EG) Nr. 44/2001 - Anwendungsbereich - Befugnis eines Gerichts eines Mitgliedstaats zum Erlass einer Anordnung, die einer Partei die Einleitung oder Fortführung eines Verfahrens vor einem Gericht eines anderen Mitgliedstaats mit der Begründung verbietet, dass dieses Verfahren einer Schiedsvereinbarung zuwiderlaufe - New Yorker Übereinkommen. Rechtssache C-185/07.

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Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche -Verordnung (EG) Nr. 44/2001
Anwendungsbereich
Befugnis eines Gerichts eines Mitgliedstaats zum Erlass einer Anordnung, die einer Partei die Einleitung oder Fortführung eines Verfahrens vor einem Gericht eines anderen Mitgliedstaats mit der Begründung verbietet, dass dieses Verfahren einer Schiedsvereinbarung zuwiderlaufe
New Yorker Übereinkommen.
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Leitsätze

Der Erlass einer Anordnung durch ein Gericht eines Mitgliedstaats, mit der einer Person die Einleitung oder Fortführung eines Verfahrens vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats mit der Begründung verboten wird, dass ein solches Verfahren gegen eine Schiedsvereinbarung verstoße, ist mit der Verordnung Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen unvereinbar.

Fällt nämlich ein Verfahren nach seinem Streitgegenstand, d. h. nach der Rechtsnatur der in diesem Verfahren zu sichernden Ansprüche, etwa eines Schadensersatzanspruchs, in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 44/2001, so fällt eine Vorfrage, die die Anwendbarkeit einer Schiedsvereinbarung einschließlich deren Gültigkeit betrifft, ebenfalls in den Anwendungsbereich dieser Verordnung.

Daraus folgt, dass eine auf das Bestehen einer Schiedsvereinbarung gestützte Unzuständigkeitseinrede einschließlich der Frage der Gültigkeit dieser Vereinbarung in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 44/2001 fällt und dass es daher ausschließlich Sache des Gerichts ist, gemäß Art. 1 Abs. 2 Buchst. d und Art. 5 Nr. 3 dieser Verordnung über diese Einrede sowie über seine eigene Zuständigkeit zu entscheiden.

Ein für die Entscheidung über einen Rechtsstreit normalerweise nach Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 zuständiges Gericht eines Mitgliedstaats durch eine „anti-suit injunction“ daran zu hindern, im Einklang mit Art. 1 Abs. 2 Buchst. d dieser Verordnung gerade über deren Anwendbarkeit auf den bei ihm anhängig gemachten Rechtsstreit zu befinden, läuft deshalb notwendig darauf hinaus, ihm seine Befugnis zu nehmen, gemäß dieser Verordnung über seine eigene Zuständigkeit zu entscheiden.

Daraus folgt zunächst, dass eine „anti-suit injunction“ nicht den allgemeinen Grundsatz wahrt, wonach jedes angerufene Gericht nach dem für dieses Gericht geltenden Recht selbst bestimmt, ob es für die Entscheidung über den bei ihm anhängig gemachten Rechtsstreit zuständig ist. Insoweit ist daran zu erinnern, dass die Verordnung Nr. 44/2001, abgesehen von einigen begrenzten Ausnahmen, die Prüfung der Zuständigkeit eines Gerichts eines Mitgliedstaats durch ein Gericht eines anderen Mitgliedstaats nicht gestattet.

Sodann widerspricht eine solche „anti-suit injunction“ auch dem Vertrauen, das die Mitgliedstaaten gegenseitig ihren Rechtssystemen und Rechtspflegeorganen entgegenbringen und auf dem das Zuständigkeitssystem der Verordnung Nr. 44/2001 beruht, denn sie beeinträchtigt das Gericht eines anderen Mitgliedstaats darin, die ihm durch die Verordnung Nr. 44/2001 verliehenen Befugnisse auszuüben, nämlich auf der Grundlage der Bestimmungen der Verordnung über deren Anwendungsbereich, darunter ihres Art. 1 Abs. 2 Buchst. d, über die Anwendbarkeit der Verordnung zu entscheiden.

Schließlich könnte sich, wenn das nationale Gericht durch eine „anti-suit injunction“ daran gehindert wäre, selbst die Vorfrage der Gültigkeit oder Anwendbarkeit der Schiedsvereinbarung zu prüfen, eine Partei dem Verfahren dadurch entziehen, dass sie sich auf diese Schiedsvereinbarung beruft, und der Kläger, der diese Vereinbarung für hinfällig, unwirksam oder nicht erfüllbar hält, sähe sich dadurch vom Zugang zu dem staatlichen Gericht ausgeschlossen, das er nach Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 angerufen hat, und wäre somit einer Form des gerichtlichen Rechtsschutzes beraubt, auf die er Anspruch hat.

Dieses Ergebnis wird durch Art. II Abs. 3 des am 10. Juni 1958 in New York unterzeichneten Übereinkommens über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche bestätigt, wonach es das Gericht eines Vertragsstaats, das wegen eines Streitgegenstands angerufen wird, hinsichtlich dessen die Parteien eine Schiedsvereinbarung geschlossen haben, ist, das die Parteien auf Antrag einer von ihnen auf das schiedsrichterliche Verfahren verweist, sofern es nicht feststellt, dass die Vereinbarung hinfällig, unwirksam oder nicht erfüllbar ist.

(vgl. Randnrn. 26-31, 33-34 und Tenor)

Bibliographic notice

Publication reference

  • Publication reference: Sammlung der Rechtsprechung 2009 I-00663

Document number

  • ECLI identifier: ECLI:EU:C:2009:69

  • Celex-Nr.: 62007CJ0185

Authentic language

  • Authentic language: Englisch

Dates

  • Date of document: 10/02/2009

  • Date lodged: 02/04/2007

Miscellaneous information

  • Author: Gerichtshof

  • Country or organisation from which the decision originates: Vereinigtes Königreich

  • Form: Urteil

Procedure

  • Type of procedure: Vorabentscheidung

  • Judge-Rapportuer: Klučka

  • Advocate General: Kokott

  • Observations: EUINST, Europäische Kommission, Vereinigtes Königreich, Frankreich, EUMS

  • National court:

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18. Mourre, Alexis ; Vagenheim, Alexandre: A propos de la portée de l'exclusion de l'arbitrage dans le règlement nº 44/2001, notamment après l'arrêt West Tankers de la CJCE, Gazette du Palais 2009 nº 198-199 II Doct. p.20-28 (FR)

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50. Dal, Georges-Albert: L'arrêt « West Tankers » et l'effet négatif du principe de compétence-compétence, Revue pratique des sociétés 2010 p.22-32 (FR)

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Rechtssache C-185/07

Allianz SpA, vormals Riunione Adriatica di Sicurtà SpA,

und

Generali Assicurazioni Generali SpA

gegen

West Tankers Inc.

(Vorabentscheidungsersuchen des House of Lords)

„Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche – Verordnung (EG) Nr. 44/2001 – Anwendungsbereich – Befugnis eines Gerichts eines Mitgliedstaats zum Erlass einer Anordnung, die einer Partei die Einleitung oder Fortführung eines Verfahrens vor einem Gericht eines anderen Mitgliedstaats mit der Begründung verbietet, dass dieses Verfahren einer Schiedsvereinbarung zuwiderlaufe – New Yorker Übereinkommen“

Leitsätze des Urteils

Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Gerichtliche Zuständigkeit und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen – Verordnung Nr. 44/2001 – Anwendungsbereich

(Verordnung Nr. 44/2001 des Rates, Art. 1 Abs. 2 Buchst. d und Art. 5 Nr. 3)

Der Erlass einer Anordnung durch ein Gericht eines Mitgliedstaats, mit der einer Person die Einleitung oder Fortführung eines Verfahrens vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats mit der Begründung verboten wird, dass ein solches Verfahren gegen eine Schiedsvereinbarung verstoße, ist mit der Verordnung Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen unvereinbar.

Fällt nämlich ein Verfahren nach seinem Streitgegenstand, d. h. nach der Rechtsnatur der in diesem Verfahren zu sichernden Ansprüche, etwa eines Schadensersatzanspruchs, in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 44/2001, so fällt eine Vorfrage, die die Anwendbarkeit einer Schiedsvereinbarung einschließlich deren Gültigkeit betrifft, ebenfalls in den Anwendungsbereich dieser Verordnung.

Daraus folgt, dass eine auf das Bestehen einer Schiedsvereinbarung gestützte Unzuständigkeitseinrede einschließlich der Frage der Gültigkeit dieser Vereinbarung in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 44/2001 fällt und dass es daher ausschließlich Sache des Gerichts ist, gemäß Art. 1 Abs. 2 Buchst. d und Art. 5 Nr. 3 dieser Verordnung über diese Einrede sowie über seine eigene Zuständigkeit zu entscheiden.

Ein für die Entscheidung über einen Rechtsstreit normalerweise nach Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 zuständiges Gericht eines Mitgliedstaats durch eine „anti-suit injunction“ daran zu hindern, im Einklang mit Art. 1 Abs. 2 Buchst. d dieser Verordnung gerade über deren Anwendbarkeit auf den bei ihm anhängig gemachten Rechtsstreit zu befinden, läuft deshalb notwendig darauf hinaus, ihm seine Befugnis zu nehmen, gemäß dieser Verordnung über seine eigene Zuständigkeit zu entscheiden.

Daraus folgt zunächst, dass eine „anti-suit injunction“ nicht den allgemeinen Grundsatz wahrt, wonach jedes angerufene Gericht nach dem für dieses Gericht geltenden Recht selbst bestimmt, ob es für die Entscheidung über den bei ihm anhängig gemachten Rechtsstreit zuständig ist. Insoweit ist daran zu erinnern, dass die Verordnung Nr. 44/2001, abgesehen von einigen begrenzten Ausnahmen, die Prüfung der Zuständigkeit eines Gerichts eines Mitgliedstaats durch ein Gericht eines anderen Mitgliedstaats nicht gestattet.

Sodann widerspricht eine solche „anti-suit injunction“ auch dem Vertrauen, das die Mitgliedstaaten gegenseitig ihren Rechtssystemen und Rechtspflegeorganen entgegenbringen und auf dem das Zuständigkeitssystem der Verordnung Nr. 44/2001 beruht, denn sie beeinträchtigt das Gericht eines anderen Mitgliedstaats darin, die ihm durch die Verordnung Nr. 44/2001 verliehenen Befugnisse auszuüben, nämlich auf der Grundlage der Bestimmungen der Verordnung über deren Anwendungsbereich, darunter ihres Art. 1 Abs. 2 Buchst. d, über die Anwendbarkeit der Verordnung zu entscheiden.

Schließlich könnte sich, wenn das nationale Gericht durch eine „anti-suit injunction“ daran gehindert wäre, selbst die Vorfrage der Gültigkeit oder Anwendbarkeit der Schiedsvereinbarung zu prüfen, eine Partei dem Verfahren dadurch entziehen, dass sie sich auf diese Schiedsvereinbarung beruft, und der Kläger, der diese Vereinbarung für hinfällig, unwirksam oder nicht erfüllbar hält, sähe sich dadurch vom Zugang zu dem staatlichen Gericht ausgeschlossen, das er nach Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 angerufen hat, und wäre somit einer Form des gerichtlichen Rechtsschutzes beraubt, auf die er Anspruch hat.

Dieses Ergebnis wird durch Art. II Abs. 3 des am 10. Juni 1958 in New York unterzeichneten Übereinkommens über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche bestätigt, wonach es das Gericht eines Vertragsstaats, das wegen eines Streitgegenstands angerufen wird, hinsichtlich dessen die Parteien eine Schiedsvereinbarung geschlossen haben, ist, das die Parteien auf Antrag einer von ihnen auf das schiedsrichterliche Verfahren verweist, sofern es nicht feststellt, dass die Vereinbarung hinfällig, unwirksam oder nicht erfüllbar ist.

(vgl. Randnrn. 26-31, 33-34 und Tenor)

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

10. Februar 2009(*)

„Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche –Verordnung (EG) Nr. 44/2001 – Anwendungsbereich – Befugnis eines Gerichts eines Mitgliedstaats zum Erlass einer Anordnung, die einer Partei die Einleitung oder Fortführung eines Verfahrens vor einem Gericht eines anderen Mitgliedstaats mit der Begründung verbietet, dass dieses Verfahren einer Schiedsvereinbarung zuwiderlaufe – New Yorker Übereinkommen“

In der Rechtssache C‑185/07

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach den Art. 68 EG und 234 EG, eingereicht vom House of Lords (Vereinigtes Königreich) mit Entscheidung vom 28. März 2007, beim Gerichtshof eingegangen am 2. April 2007, in dem Verfahren

Allianz SpA, vormals Riunione Adriatica Di Sicurtà SpA,

Generali Assicurazioni Generali SpA

gegen

West Tankers Inc.

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten P. Jann, C. W. A. Timmermans, A. Rosas, K. Lenaerts und A. Ó Caoimh sowie der Richter P. Kūris, E. Juhász, G. Arestis, A. Borg Barthet, J. Klučka (Berichterstatter), E. Levits und L. Bay Larsen,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: K. Sztranc-Sławiczek, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 10. Juni 2008,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

– der Allianz SpA, vormals Riunione Adriatica di Sicurtà SpA, und der Generali Assicurazioni Generali SpA, vertreten durch S. Males, QC, im Beistand von S. Masters, Barrister,

– der West Tankers Inc., vertreten durch I. Chetwood, Solicitor, im Beistand von T. Brenton und D. Bailey, Barristers,

– der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch V. Jackson und S. Behzadi‑Spencer als Bevollmächtigte im Beistand von V. Veeder und A. Layton, QC,

– der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues und A.‑L. During als Bevollmächtigte,

– der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch A.‑M. Rouchaud-Joët und M. Wilderspin als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 4. September 2008

folgendes

Urteil
1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil‑ und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1).

2

Dieses Ersuchen ergeht in einem Rechtsstreit zwischen der Allianz SpA, vormals Riunione Adriatica Di Sicurtà SpA, und der Generali Assicurazioni Generali SpA (im Folgenden zusammen: Allianz und Generali) einerseits und der West Tankers Inc. (im Folgenden: West Tankers) andererseits, in dem es um die Haftung von West Tankers aus unerlaubter Handlung geht.

Rechtlicher Rahmen
Internationales Recht
3

Das am 10. Juni 1958 in New York unterzeichnete Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche (United Nations Treaty Series, Bd. 330, S. 3, im Folgenden: New Yorker Übereinkommen) bestimmt in seinem Art. II Abs. 3:

„Wird ein Gericht eines Vertragsstaates wegen eines Streitgegenstandes angerufen, hinsichtlich dessen die Parteien eine Vereinbarung im Sinne dieses Artikels getroffen haben, so hat das Gericht auf Antrag einer der Parteien sie auf das schiedsrichterliche Verfahren zu verweisen, sofern es nicht feststellt, dass die Vereinbarung hinfällig, unwirksam oder nicht erfüllbar ist.“

Gemeinschaftsrecht
4

Der 25. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 44/2001 lautet:

„Um die internationalen Verpflichtungen, die die Mitgliedstaaten eingegangen sind, zu wahren, darf sich diese Verordnung nicht auf von den Mitgliedstaaten geschlossene Übereinkommen in besonderen Rechtsgebieten auswirken.“

„(1) Diese Verordnung ist in Zivil‑ und Handelssachen anzuwenden, ohne dass es auf die Art der Gerichtsbarkeit ankommt. Sie erfasst insbesondere nicht Steuer- und Zollsachen sowie verwaltungsrechtliche Angelegenheiten.

(2) Sie ist nicht anzuwenden auf:

d) die Schiedsgerichtsbarkeit.“

6

Art. 5 dieser Verordnung sieht vor:

„Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden:

3. wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht;

…“

Nationales Recht
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Section 37 (1) des Supreme Court Act 1981 (Gesetz über den Obersten Gerichtshof von 1981) bestimmt:

„Der High Court kann durch Beschluss eine (einstweilige oder endgültige) Anordnung … in allen Fällen erlassen, in denen ihm dies angezeigt erscheint.“

8

Der Arbitration Act 1996 (Gesetz über die Schiedsgerichtsbarkeit von 1996) sieht in Section 44 („Gerichtliche Befugnisse zur Unterstützung von Schiedsverfahren“) vor:

„(1) Soweit von den Parteien nichts anderes vereinbart worden ist, besitzt das Gericht im Hinblick auf oder in Zusammenhang mit Schiedsverfahren die gleichen Befugnisse, Anordnungen auf den nachstehend aufgeführten Gebieten zu erlassen, wie im Hinblick auf gesetzliche Verfahren oder in Zusammenhang mit solchen.

(2) Diese Gebiete sind:

e) Erlass einer einstweiligen Anordnung …“

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage
9

Im August 2000 kollidierte die „Front Comor“, ein West Tankers gehörendes Schiff, das die Erg Petroli SpA (im Folgenden: Erg) gechartert hatte, in Syrakus (Italien) mit einer Erg gehörenden Mole und verursachte dort Schäden. Für den Chartervertrag war die Geltung des englischen Rechts vereinbart worden, und er enthielt eine Schiedsklausel, die ein Schiedsverfahren in London (Vereinigtes Königreich) vorsah.

10

Erg begehrte von ihren Versicherern, Allianz und Generali, Schadensersatz in Höhe der Versicherungssumme und leitete hinsichtlich des übrigen Schadensbetrags gegen West Tankers ein Schiedsverfahren in London ein. West Tankers bestritt, für den Unfallschaden zu haften.

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Nachdem Allianz und Generali an Erg für den von dieser erlittenen Schaden gemäß den Versicherungsverträgen Ersatz geleistet hatten, erhoben sie am 30. Juli 2003 eine Klage gegen West Tankers vor dem Tribunale di Siracusa (Italien), um die von ihnen an Erg gezahlten Beträge zurückzuerlangen. Sie machten geltend, dass sie durch gesetzlichen Forderungsübergang nach Art. 1916 des italienischen Zivilgesetzbuchs in die Rechte von Erg eingetreten seien. West Tankers erhob dagegen die Einrede der Unzuständigkeit des genannten Gerichts wegen der geschlossenen Schiedsvereinbarung.

12

Parallel dazu, am 10. September 2004, leitete West Tankers ein Verfahren vor dem High Court of Justice (England & Wales), Queen‘s Bench Division (Commercial Court) (Vereinigtes Königreich), mit dem Antrag auf Feststellung ein, dass nach der geschlossenen Schiedsvereinbarung ihr Rechtsstreit mit Allianz und Generali dem Schiedsverfahren zu unterwerfen sei. West Tankers beantragte außerdem den Erlass einer Anordnung, mit der es Allianz und Generali untersagt werden sollte, sich eines anderen Verfahrens als des Schiedsverfahrens zu bedienen und das vor dem Tribunale di Siracusa eingeleitete Verfahren fortzuführen (im Folgenden: „anti‑suit injunction“).

13

Mit Urteil vom 21. März 2005 gab der High Court of Justice (England & Wales), Queen‘s Bench Division (Commercial Court), den Anträgen von West Tankers statt und erließ gegen Allianz und Generali die beantragte „anti-suit injunction“. Allianz und Generali legten gegen das Urteil Rechtsmittel zum House of Lords ein. Sie machen geltend, der Erlass einer solchen Anordnung widerspreche der Verordnung Nr. 44/2001.

14

Das House of Lords nimmt zunächst Bezug auf die Urteile vom 9. Dezember 2003, Gasser (C‑116/02, Slg. 2003, I‑14693), und vom 27. April 2004, Turner (C‑159/02, Slg. 2004, I‑3565), mit denen im Wesentlichen entschieden worden sei, dass eine Anordnung, mit der einer Partei die Einleitung oder Fortführung eines Verfahrens vor einem Gericht eines Mitgliedstaats verboten werde, mit dem durch die Verordnung Nr. 44/2001 geschaffenen System nicht vereinbar sein könne, selbst wenn sie von dem nach dieser Verordnung zuständigen Gericht erlassen werde. Dies beruhe darauf, dass die Verordnung Nr. 44/2001 eine abschließende, einheitliche Regelung der Zuständigkeitsverteilung zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten enthalte, die einander bei der ordnungsgemäßen Anwendung dieser Regelung Vertrauen entgegenbringen müssten.

15

Dieser Grundsatz lasse sich jedoch nicht auf die Schiedsgerichtsbarkeit erstrecken, die nach Art. 1 Abs. 2 Buchst. d der Verordnung Nr. 44/2001 vollständig von deren Anwendungsbereich ausgeschlossen sei. In diesem Bereich gebe es keine einheitliche gemeinschaftsrechtliche Regelung, deren Bestehen aber eine notwendige Voraussetzung dafür sei, dass zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten gegenseitiges Vertrauen entstehen und praktiziert werden könne. Überdies ergebe sich aus dem Urteil vom 25. Juli 1991, Rich (C‑190/89, Slg. 1991, I‑3855), dass der Ausschlusstatbestand des Art. 1 Abs. 2 Buchst. d der Verordnung Nr. 44/2001 nicht nur für Schiedsverfahren als solche gelte, sondern auch für gerichtliche Verfahren, die die Schiedsgerichtsbarkeit zum Gegenstand hätten. Im Urteil vom 17. November 1998, Van Uden (C‑391/95, Slg. 1998, I‑7091), sei klargestellt worden, dass die Schiedsgerichtsbarkeit dann Gegenstand eines Verfahrens sei, wenn dieses auf die Sicherung des Anspruchs ziele, den Rechtsstreit im Wege der Schiedsgerichtsbarkeit zu erledigen, was im Ausgangsrechtsstreit der Fall sei.

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Zudem könne die an Allianz und Generali gerichtete Anordnung, mit denen ihnen das Betreiben eines anderen Verfahrens als des Schiedsverfahrens und die Fortführung des Verfahrens vor dem Tribunale di Siracusa untersagt werde, deshalb nicht gegen die Verordnung Nr. 44/2001 verstoßen, weil der gesamte Bereich der Schiedsgerichtsbarkeit außerhalb des Anwendungsbereichs der Verordnung liege.

17

Schließlich weist das House of Lords darauf hin, dass die Gerichte des Vereinigten Königreichs seit vielen Jahren „anti‑suit injunctions“ erließen. Diese Praxis sei ein wirksames Mittel für das Gericht am Sitz des Schiedsgerichts, das die richterliche Kontrolle über Letzteres ausübe, da es die Rechtssicherheit dadurch fördere, dass es die Möglichkeit von Konflikten zwischen dem Schiedsspruch und dem Urteil eines nationalen Gerichts reduziere. Zudem trage diese Praxis, wenn auch die Gerichte der anderen Mitgliedstaaten sie befolgten, zur Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Gemeinschaft gegenüber weltweit anerkannten Zentren der Schiedsgerichtsbarkeit wie New York, den Bermudas und Singapur bei.

18

Vor diesem Hintergrund hat das House of Lords das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist es mit der Verordnung Nr. 44/2001 vereinbar, dass ein Gericht eines Mitgliedstaats eine Entscheidung erlässt, wonach eine Person es zu unterlassen hat, ein Verfahren in einem anderen Mitgliedstaat einzuleiten oder fortzuführen, weil ein solches Verfahren gegen eine Schiedsvereinbarung verstößt?
Zur Vorlagefrage
19

Mit seiner Frage möchte das House of Lords wissen, ob der Erlass einer Anordnung durch ein Gericht eines Mitgliedstaats, mit der einer Person die Einleitung oder Fortführung eines Verfahrens vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats mit der Begründung verboten wird, dass ein solches Verfahren gegen eine Schiedsvereinbarung verstoße, mit der Verordnung Nr. 44/2001 unvereinbar ist, obwohl Art. 1 Abs. 2 Buchst. d der Verordnung Nr. 44/2001 die Schiedsgerichtsbarkeit vom Anwendungsbereich der Verordnung ausschließt.

20

Eine „anti-suit injunction“, wie sie im Ausgangsrechtsstreit ergangen ist, kann sich an den tatsächlichen oder potenziellen Urheber einer Klage im Ausland richten. Wie die Generalanwältin in Nr. 14 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, setzt sich der Adressat einer solchen Anordnung, wenn er ihr nicht nachkommt, einer Verfolgung wegen Missachtung des Gerichts aus, die mit Strafen bis zu Zwangshaft oder Beschlagnahme seines Vermögens geahndet werden kann.

21

Sowohl West Tankers als auch die Regierung des Vereinigten Königreichs meinen, dass eine solche Anordnung deshalb nicht mit der Verordnung Nr. 44/2001 unvereinbar sein könne, weil deren Art. 1 Abs. 2 Buchst. d die Schiedsgerichtsbarkeit vom Anwendungsbereich der Verordnung ausnehme.

22

Insoweit ist daran zu erinnern, dass für die Feststellung, ob ein Rechtsstreit in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 44/2001fällt, nur der Gegenstand des Verfahrens zu berücksichtigen ist (Urteil Rich, Randnr. 26). Die Zugehörigkeit zum Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 44/2001 bestimmt sich, genauer gesagt, nach der Rechtsnatur der durch das fragliche Verfahren gesicherten Ansprüche (Urteil Van Uden, Randnr. 33).

23

Ein Verfahren wie das Ausgangsverfahren, das zum Erlass einer „anti-suit injunction“ führt, kann daher nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 44/2001 fallen.

24

Jedoch kann ein Verfahren, auch wenn es nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 44/2001 fällt, gleichwohl Folgen haben, die deren praktische Wirksamkeit beeinträchtigen, und zwar kann es verhindern, dass die Ziele einer Vereinheitlichung der Vorschriften über die internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen und der Freizügigkeit von in solchen Sachen ergangenen Entscheidungen erreicht werden. So verhält es sich insbesondere dann, wenn ein derartiges Verfahren ein Gericht eines anderen Mitgliedstaats an der Ausübung der Befugnisse hindert, die ihm durch die Verordnung Nr. 44/2001 verliehen werden.

25

Es ist daher zu prüfen, ob das von Allianz und Generali beim Tribunale di Siracusa gegen West Tankers eingeleitete Verfahren selbst unter die Verordnung Nr. 44/2001 fällt, und sodann, wie sich die „anti-suit injunction“ auf dieses Verfahren auswirkt.

26

Insoweit ist, wie die Generalanwältin in den Nrn. 53 und 54 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, davon auszugehen, dass dann, wenn ein Verfahren nach seinem Streitgegenstand, d. h. nach der Rechtsnatur der in diesem Verfahren zu sichernden Ansprüche, etwa eines Schadensersatzanspruchs, in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 44/2001 fällt, eine Vorfrage, die die Anwendbarkeit einer Schiedsvereinbarung einschließlich deren Gültigkeit betrifft, ebenfalls in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fällt. Diese Schlussfolgerung wird bestätigt durch Randnr. 35 des Evrigenis/Kerameus- Berichts über den Beitritt der Republik Griechenland zum Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil‑ und Handelssachen (ABl. 1972, L 299, S. 32, im Folgenden: Brüsseler Übereinkommen) (ABl. 1986, C 298, S. 1). Danach kann nach dem Brüsseler Übereinkommen inzidenter die Gültigkeit eines Schiedsvertrags geprüft werden, auf den sich die eine Partei beruft, um die internationale Unzuständigkeit des Gerichts geltend zu machen, vor dem sie nach dem Übereinkommen verklagt wird.

27

Daraus folgt, dass die von West Tankers vor dem Tribunale di Siracusa erhobene Unzuständigkeitseinrede, die auf das Bestehen einer Schiedsvereinbarung gestützt ist, einschließlich der Frage der Gültigkeit dieser Vereinbarung in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 44/2001 fällt und dass es daher ausschließlich Sache dieses Gerichts ist, gemäß Art. 1 Abs. 2 Buchst. d und Art. 5 Nr. 3 dieser Verordnung über diese Einrede sowie über seine eigene Zuständigkeit zu entscheiden.

28

Ein für die Entscheidung über einen Rechtsstreit normalerweise nach Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 zuständiges Gericht eines Mitgliedstaats durch eine „anti-suit injunction“ daran zu hindern, im Einklang mit Art. 1 Abs. 2 Buchst. d dieser Verordnung gerade über deren Anwendbarkeit auf den bei ihm anhängig gemachten Rechtsstreit zu befinden, läuft deshalb notwendig darauf hinaus, ihm seine Befugnis zu nehmen, gemäß der Verordnung Nr. 44/2001 über seine eigene Zuständigkeit zu entscheiden.

29

Daraus folgt zunächst, dass eine „anti-suit injunction“ wie die im Ausgangsverfahren ergangene, wie die Generalanwältin in Nr. 57 ihrer Schlussanträge dargelegt hat, nicht den sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Brüsseler Übereinkommenergebenden allgemeinen Grundsatz wahrt, wonach jedes angerufene Gericht nach dem für dieses Gericht geltenden Recht selbst bestimmt, ob es für die Entscheidung über den bei ihm anhängig gemachten Rechtsstreit zuständig ist (vgl. in diesem Sinne Urteil Gasser, Randnrn. 48 und 49). Insoweit ist daran zu erinnern, dass die Verordnung Nr. 44/2001, abgesehen von einigen begrenzten, im Ausgangsrechtsstreit nicht einschlägigen Ausnahmen, die Prüfung der Zuständigkeit eines Gerichts eines Mitgliedstaats durch ein Gericht eines anderen Mitgliedstaats nicht gestattet (Urteile vom 27. Juni 1991, Overseas Union Insurance u. a., C‑351/89, Slg. 1991, I‑3317, Randnr. 24, und Turner, Randnr. 26). Diese Zuständigkeit bestimmt sich unmittelbar nach den Vorschriften der Verordnung einschließlich derjenigen über ihren Anwendungsbereich. Ein Gericht eines Mitgliedstaats ist daher in keinem Fall besser in der Lage, über die Zuständigkeit eines Gerichts eines anderen Mitgliedstaats zu befinden (Urteile Overseas Union Insurance u. a., Randnr. 23, und Gasser, Randnr. 48).

30

Sodann widerspricht eine solche „anti-suit injunction“ auch dem Vertrauen, das die Mitgliedstaaten gegenseitig ihren Rechtssystemen und Rechtspflegeorganen entgegenbringen und auf dem das Zuständigkeitssystem der Verordnung Nr. 44/2001 beruht (vgl. in diesem Sinne Urteil Turner, Randnr. 24), denn sie beeinträchtigt das Gericht eines anderen Mitgliedstaats darin, die ihm durch die Verordnung Nr. 44/2001 verliehenen Befugnisse auszuüben, nämlich auf der Grundlage der Bestimmungen der Verordnung über deren Anwendungsbereich, darunter ihres Art. 1 Abs. 2 Buchst. d, über die Anwendbarkeit der Verordnung zu entscheiden.

31

Schließlich könnte sich, wenn das Tribunale di Siracusa durch eine „anti-suit injunction“ daran gehindert wäre, selbst die Vorfrage der Gültigkeit oder Anwendbarkeit der Schiedsvereinbarung zu prüfen, eine Partei dem Verfahren dadurch entziehen, dass sie sich auf diese Schiedsvereinbarung beruft, und der Kläger, der diese Vereinbarung für hinfällig, unwirksam oder nicht erfüllbar hält, sähe sich dadurch vom Zugang zu dem staatlichen Gericht ausgeschlossen, das er nach Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 angerufen hat, und wäre somit einer Form des gerichtlichen Rechtsschutzes beraubt, auf die er Anspruch hat.

32

Folglich ist eine „anti-suit injunction“ wie die im Ausgangsverfahren fragliche mit der Verordnung Nr. 44/2001 nicht vereinbar.

33

Dieses Ergebnis wird durch Art. II Abs. 3 des New Yorker Übereinkommens bestätigt, wonach es das Gericht eines Vertragsstaats, das wegen eines Streitgegenstands angerufen wird, hinsichtlich dessen die Parteien eine Schiedsvereinbarung geschlossen haben, ist, das die Parteien auf Antrag einer von ihnen auf das schiedsrichterliche Verfahren verweist, sofern es nicht feststellt, dass die Vereinbarung hinfällig, unwirksam oder nicht erfüllbar ist.

34

Nach alledem ist auf die gestellte Frage zu antworten, dass der Erlass einer Anordnung durch ein Gericht eines Mitgliedstaats, mit der einer Person die Einleitung oder Fortführung eines Verfahrens vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats mit der Begründung verboten wird, dass ein solches Verfahren gegen eine Schiedsvereinbarung verstoße, mit der Verordnung Nr. 44/2001 unvereinbar ist.

Kosten
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Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

Der Erlass einer Anordnung durch ein Gericht eines Mitgliedstaats, mit der einer Person die Einleitung oder Fortführung eines Verfahrens vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats mit der Begründung verboten wird, dass ein solches Verfahren gegen eine Schiedsvereinbarung verstoße, ist mit der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil‑ und Handelssachen unvereinbar.

Unterschriften

* Verfahrenssprache: Englisch.
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