Rechtssache C-283/16
M. S.
gegen
P. S.
(Vorabentscheidungsersuchen des High Court of Justice [England & Wales], Family Division)
„Vorlage zur Vorabentscheidung – Verordnung (EG) Nr. 4/2009 – Art. 41 Abs. 1 – Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und Zusammenarbeit in Unterhaltssachen – Vollstreckung einer Entscheidung in einem Mitgliedstaat – Antragstellung unmittelbar bei der zuständigen Behörde des Vollstreckungsmitgliedstaats – Nationale Rechtsvorschriften, wonach die Zentrale Behörde des Vollstreckungsmitgliedstaats zu beteiligen ist“
Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Sechste Kammer) vom 9. Februar 2017
Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen–Zuständigkeit, anwendbares Recht, Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Unterhaltssachen–Verordnung Nr. 4/2009–Anerkennung, Vollstreckbarkeit und Vollstreckung von Entscheidungen–Vollstreckungsverfahren und Bedingungen für die Vollstreckung–Nationale Regelung, wonach der Unterhaltsberechtigte seinen Antrag auf Vollstreckung einer Entscheidung über die Zentrale Behörde des Vollstreckungsmitgliedstaats einzureichen hat–Unzulässigkeit (Verordnung Nr. 4/2009 des Rates, Erwägungsgründe 31 und 32, Art. 41 Abs. 1, Art. 45, 51 und 56) Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen–Zuständigkeit, anwendbares Recht, Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Unterhaltssachen–Verordnung Nr. 4/2009–Art. 41 Abs. 1–Unmittelbare Wirkung–Pflichten und Befugnisse des angerufenen nationalen Gerichts–Nichtanwendung von nationalen Vorschriften, nach denen der Unterhaltsberechtigte seinen Antrag auf Vollstreckung einer Entscheidung über die Zentrale Behörde des Vollstreckungsmitgliedstaats einzureichen hat (Verordnung Nr. 4/2009 des Rates, Art. 41 Abs. 1)
Die Bestimmungen von Kapitel IV der Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates vom 18. Dezember 2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen und insbesondere ihr Art. 41 Abs. 1 sind dahin auszulegen, dass ein Unterhaltsberechtigter, der in einem Mitgliedstaat einen Titel erwirkt hat und dessen Vollstreckung in einem anderen Mitgliedstaat begehrt, seinen Antrag unmittelbar bei der zuständigen Behörde dieses Mitgliedstaats, etwa einem Fachgericht, stellen und nicht verpflichtet werden kann, seinen Antrag über die Zentrale Behörde des Vollstreckungsmitgliedstaats einzureichen. So sieht keine Vorschrift des Kapitels IV („Anerkennung, Vollstreckbarkeit und Vollstreckung von Entscheidungen“), zu dem Art. 41 Abs. 1 gehört, ein besonderes, zu den im Rahmen rein innerstaatlicher Anträge anwendbaren Verfahren hinzukommendes Verfahren und insbesondere eine zwingende Beteiligung der Zentralen Behörden der Mitgliedstaaten vor. Die Befassung der Zentralen Behörden ist in dem ihre Zusammenarbeit betreffenden Kapitel VII der Verordnung Nr. 4/2009 vorgesehen. Aus den Art. 51 und 56 der Verordnung Nr. 4/2009 geht im Licht ihrer Erwägungsgründe 31 und 32 hervor, dass das Ersuchen um Unterstützung bei den Zentralen Behörden gemäß den Bestimmungen von Kapitel VII der Verordnung ein Recht und keine Verpflichtung ist. Es ist mithin fakultativ und findet nur Anwendung, wenn der Unterhaltsberechtigte es in Anspruch nehmen möchte, etwa um besondere Schwierigkeiten wie die Lokalisierung des Unterhaltsverpflichteten zu überwinden. Die Verordnung Nr. 4/2009 sieht somit zwei verschiedene Arten der Anrufung der zuständigen Gerichte vor: unmittelbar, nach den Bestimmungen von Kapitel IV der Verordnung, oder über die Zentralen Behörden, wenn der Unterhaltsberechtigte um die Unterstützung der Zentralen Behörde seines Aufenthaltsmitgliedstaats ersucht, nach den Bestimmungen von Kapitel VII der Verordnung. Diese Analyse wird durch den Wortlaut von Art. 45 der Verordnung Nr. 4/2009, der zu ihrem Kapitel V gehört, bestätigt. In dieser Bestimmung über die Prozesskostenhilfe werden ausdrücklich zwei verschiedene Wege unterschieden: Der Unterhaltsberechtigte kann einen Vollstreckungsantrag über die Zentralen Behörden „oder“ direkt an die zuständigen Behörden übermitteln. Unter diesen Umständen verstößt eine Verpflichtung zur Beteiligung der Zentralen Behörde des ersuchten Mitgliedstaats, die dem Unterhaltsberechtigten, der sich auf der Grundlage des Kapitels IV der Verordnung unmittelbar an die zuständigen Behörden wenden möchte, durch eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende auferlegt wird und nach den Angaben des vorlegenden Gerichts mit zeitlichen Verzögerungen verbunden ist, im Licht des Zwecks der Verordnung Nr. 4/2009 und des Systems, in das sich ihr Art. 41 Abs. 1 einfügt, gegen diese Bestimmung. (vgl. Rn. 37, 39-44, Tenor 1) Die Mitgliedstaaten sind gehalten, für die volle Wirksamkeit des in Art. 41 Abs. 1 der Verordnung Nr. 4/2009 vorgesehenen Rechts Sorge zu tragen, indem sie gegebenenfalls ihre Verfahrensvorschriften anpassen. Das nationale Gericht hat jedenfalls die Bestimmungen von Art. 41 Abs. 1 der Verordnung anzuwenden, indem es erforderlichenfalls entgegenstehende Vorschriften des nationalen Rechts unangewandt lässt, und muss somit einem Unterhaltsberechtigten die Möglichkeit geben, seinen Antrag unmittelbar bei der zuständigen Behörde des Vollstreckungsmitgliedstaats zu stellen, auch wenn dies im nationalen Recht nicht vorgesehen ist. (vgl. Rn. 51, Tenor 2)
Document number
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ECLI identifier: ECLI:EU:C:2017:104
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Celex-Nr.: 62016CJ0283
Authentic language
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Authentic language: Englisch
Dates
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Date of document: 09/02/2017
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Date lodged: 23/05/2016
Classifications
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Subject matter
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Directory of EU case law
Internal policy of the European Union / Area of freedom, security and justice / Judicial cooperation in civil matters / Measures concerning family law / Maintenance obligations
Miscellaneous information
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Author: Gerichtshof
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Country or organisation from which the decision originates: Vereinigtes Königreich
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Form: Urteil
Procedure
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Type of procedure: Vorabentscheidung
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Judge-Rapportuer: Fernlund
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Advocate General: Bot
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Observations: EUMS, Italien, Europäische Kommission, EUINST, Finnland
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National court:
- *A9* High Court of Justice, Family Division (England and Wales), Order of 11/04/2016 (LN15P00301)
Legal doctrine
4. Wißling, Jan: Kind von Welt beim EuGH. Anmerkung zu EuGH-Urteilen C-499/15 und C-283/16, Zeitschrift für das Privatrecht der Europäischen Union - GPR 2017 p.255-259 (DE)
7. Juryk, Anna: Możliwość skierowania bezpośrednio do komornika orzeczenia przyznającego alimenty pochodzącego z innego państwa członkowskiego Unii Europejskiej, Europejski Przegląd Sądowy 2018 Vol.01 p.35-40 (PL)
5. Joubert, Natalie: L'exécution des décisions entre autonomie procédurale des Etats membres et pleine efficacité du règlement Aliments, Revue critique de droit international privé 2017 nº 4 p.568-572 (FR)
6. Knöfel, Oliver L.: Die Rolle der zentralen Behörden bei der grenzüberschreitenden Vollstreckung von Unterhaltstiteln in der Europäischen Union, Praxis des internationalen Privat- und Verfahrensrechts 2018 p.487-493 (DE)
1. Brenn, Christoph: Antrag auf Vollstreckung kann immer unmittelbar beim Vollstreckungsgericht eingebracht werden, Österreichische Juristenzeitung 2017 p.283 (DE)
3. Idot, Laurence: Exécution d'une décision et modes de saisine, Europe 2017 Avril nº 04 p.38 (FR)
2. Nourissat, Cyril: Quand le règlement « obligations alimentaires » oblige à la mise à l'écart des règles de procédure nationale, Procédures 2017 nº 04 p.25 (FR)
Relationship between documents
- Treaty: Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (Konsolidierte Fassung 2008)
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Case affecting:
Affects Legal instrument Provision Legt aus 32009R0004 A41P1 Legt aus 32009R0004 CH4 -
Instruments cited:
Legal instrument Provision Paragraph in document 61977CJ0106 N21 N 50 61977CJ0106 N24 N 50 32001R0044 N 32 12008E288 L2 N 47 32009R0004 C31 N 3 35 40 32009R0004 C32 N 3 35 40 32009R0004 A20P1 N 6 38 32009R0004 C9 N 3 34 32009R0004 A41P1 N 7 26 - 31 36 37 43 44 51 32009R0004 C27 N 3 34 32009R0004 A76 N 13 49 32009R0004 N 1 23 25 27 33 41 32009R0004 A55 N 11 39 32009R0004 A49P1 N 9 32009R0004 A51P1 N 10 39 32009R0004 A56 N 12 39 40 32009R0004 A17P1 N 5 38 32009R0004 A51 N 40 32009R0004 A45 N 8 42 62010CJ0188 N43 N 50 62010CJ0606 N72 N 48 32012Q0929(01) A105P1 N 24 62013CJ0400 N41 N 33 62014CJ0005 N32 N 50 62016CO0283 N 24
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Sechste Kammer)
9. Februar 2017 (1)
„Vorlage zur Vorabentscheidung — Verordnung (EG) Nr. 4/2009 — Art. 41 Abs. 1 — Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und Zusammenarbeit in Unterhaltssachen — Vollstreckung einer Entscheidung in einem Mitgliedstaat — Antragstellung unmittelbar bei der zuständigen Behörde des Vollstreckungsmitgliedstaats — Nationale Rechtsvorschriften, wonach die Zentrale Behörde des Vollstreckungsmitgliedstaats zu beteiligen ist“
In der Rechtssache C‑283/16
gegen
erlässt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan sowie der Richter A. Arabadjiev und C. G. Fernlund (Berichterstatter),
Generalanwalt: Y. Bot,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
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von M. S., vertreten durch T. Scott, QC, und E. Bennet, Barrister, im Beistand von M. Barnes, Solicitor, |
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der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von S. Fiorentino, avvocato dello Stato, |
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der finnischen Regierung, vertreten durch H. Leppo als Bevollmächtigte, |
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der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Wilderspin als Bevollmächtigten, |
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
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1 |
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates vom 18. Dezember 2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen (ABl. 2009, L 7, S. 1). |
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2 |
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau M. S., die sich in Deutschland aufhält, und Herrn P. S., der sich im Vereinigten Königreich aufhält, wegen Unterhaltsforderungen. |
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3 |
In den Erwägungsgründen 9, 27, 31 und 32 der Verordnung Nr. 4/2009 heißt es:
…
…
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4 |
Kapitel IV („Anerkennung, Vollstreckbarkeit und Vollstreckung von Entscheidungen“) der Verordnung umfasst ihre Art. 16 bis 43. |
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5 |
Der zu Abschnitt 1 („In einem Mitgliedstaat, der durch das Haager Protokoll von 2007 gebunden ist, ergangene Entscheidungen“) von Kapitel IV der Verordnung gehörende Art. 17 („Abschaffung des Exequaturverfahrens“) sieht in Abs. 1 vor: „Eine in einem Mitgliedstaat, der durch das Haager Protokoll von 2007 gebunden ist, ergangene Entscheidung wird in einem anderen Mitgliedstaat anerkannt, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf und ohne dass die Anerkennung angefochten werden kann.“ |
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6 |
Zu Abschnitt 1 von Kapitel IV gehört auch Art. 20 („Schriftstücke zum Zwecke der Vollstreckung“) der Verordnung. In dessen Abs. 1 sind die Schriftstücke aufgeführt, die der Antragsteller „den zuständigen Vollstreckungsbehörden“ vorlegt. |
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7 |
Art. 41 („Vollstreckungsverfahren und Bedingungen für die Vollstreckung“) der Verordnung bestimmt in Abs. 1: „Vorbehaltlich der Bestimmungen dieser Verordnung gilt für das Verfahren zur Vollstreckung der in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen das Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats. Eine in einem Mitgliedstaat ergangene Entscheidung, die im Vollstreckungsmitgliedstaat vollstreckbar ist, wird dort unter den gleichen Bedingungen vollstreckt wie eine im Vollstreckungsmitgliedstaat ergangene Entscheidung.“ |
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8 |
Kapitel V („Zugang zum Recht“) der Verordnung umfasst ihre Art. 44 bis 47. Art. 45 („Gegenstand der Prozesskostenhilfe“) der Verordnung sieht vor: „Nach diesem Kapitel gewährte Prozesskostenhilfe ist die Unterstützung, die erforderlich ist, damit die Parteien ihre Rechte in Erfahrung bringen und geltend machen können und damit sichergestellt werden kann, dass ihre Anträge, die über die Zentralen Behörden oder direkt an die zuständigen Behörden übermittelt werden, in umfassender und wirksamer Weise bearbeitet werden. … …“ |
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9 |
Die Art. 49 bis 63 der Verordnung befinden sich in ihrem Kapitel VII („Zusammenarbeit der Zentralen Behörden“). Art. 49 („Bestimmung der Zentralen Behörden“) der Verordnung sieht in Abs. 1 vor: „Jeder Mitgliedstaat bestimmt eine Zentrale Behörde, welche die ihr durch diese Verordnung übertragenen Aufgaben wahrnimmt.“ |
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10 |
Art. 51 („Besondere Aufgaben der Zentralen Behörden“) der Verordnung sieht in Abs. 1 vor: „Die Zentralen Behörden leisten bei Anträgen nach Artikel 56 Hilfe, indem sie insbesondere
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11 |
Art. 55 („Übermittlung von Anträgen über die Zentralen Behörden“) der Verordnung lautet: „Anträge nach diesem Kapitel sind über die Zentrale Behörde des Mitgliedstaats, in dem der Antragsteller seinen Aufenthalt hat, bei der Zentralen Behörde des ersuchten Mitgliedstaats zu stellen.“ |
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12 |
Art. 56 („Zur Verfügung stehende Anträge“) der Verordnung bestimmt: „(1) Eine berechtigte Person, die Unterhaltsansprüche nach dieser Verordnung geltend machen will, kann Folgendes beantragen: …
… (4) Sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, werden Anträge gemäß den Absätzen 1 und 2 nach dem Recht des ersuchten Mitgliedstaats behandelt und unterliegen den in diesem Mitgliedstaat geltenden Zuständigkeitsvorschriften.“ |
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13 |
Art. 76 („Inkrafttreten“) der Verordnung sieht vor: „Diese Verordnung tritt am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft. … Diese Verordnung findet, mit Ausnahme der in Unterabsatz 2 genannten Vorschriften, ab dem 18. Juni 2011 Anwendung, sofern das Haager Protokoll von 2007 zu diesem Zeitpunkt in der Gemeinschaft anwendbar ist. Anderenfalls findet diese Verordnung ab dem Tag des Beginns der Anwendbarkeit jenes Protokolls in der Gemeinschaft Anwendung. …“ |
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14 |
In Art. 4 von Anhang I der Civil Jurisdiction and Judgments (Maintenance) Regulations 2011 (Verordnung von 2011 über Zivilgerichtsbarkeit und ‑urteile [Unterhaltssachen]) heißt es: „(1) Vorbehaltlich Subparagraph 2 ist, wenn eine Unterhaltsentscheidung im Vereinigten Königreich nach Abschnitt 1 von Kapitel IV der [Verordnung Nr. 4/2009] vollstreckt werden soll, das Gericht, an das ein Antrag auf Vollstreckung zu richten ist,
… (2) Ein Antrag auf Vollstreckung ist dem Family Court („Vollstreckungsgericht“) zu übermitteln …
… (4) Für die Zwecke der Vollstreckung einer Unterhaltsentscheidung
wie wenn die Entscheidung ursprünglich vom Vollstreckungsgericht getroffen worden wäre.“ |
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15 |
Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts ist die gemäß Art. 49 der Verordnung Nr. 4/2009 für England und Wales bestimmte Zentrale Behörde der Lord Chancellor (Lordkanzler, Vereinigtes Königreich), der seinerseits seine Vollstreckungsaufgabe der Reciprocal Enforcement of Maintenance Orders Unit (Stelle für die gegenseitige Vollstreckung von Unterhaltstiteln, im Folgenden: REMO) übertragen hat. |
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16 |
Herr und Frau S. heirateten 2005 und trennten sich 2012. Sie bekamen zwei Kinder, die neun und fünf Jahre alt waren, als das Vorabentscheidungsersuchen eingereicht wurde. Ihre Scheidung wurde vom Amtsgericht Walsrode (Deutschland) ausgesprochen, das mit Beschluss vom 7. August 2014 (im Folgenden: Beschluss des deutschen Gerichts) Maßnahmen zur Regelung der Unterhaltsansprüche dieser beiden Kinder erließ. |
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17 |
Frau S. und ihre Kinder leben seit der Scheidung weiterhin in Deutschland. Herr S. lebt und arbeitet im Vereinigten Königreich. Er verweigert die Zahlung von Unterhalt gemäß dem Beschluss des deutschen Gerichts mit der Begründung, dass Frau S. ihn am Kontakt mit den Kindern hindere. |
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18 |
Das vorlegende Gericht, der High Court of Justice (England & Wales), Family Division (Hoher Gerichtshof [England und Wales], Abteilung für Familiensachen, Vereinigtes Königreich), wurde mit dem auf die Verordnung Nr. 4/2009 gestützten Antrag von Frau S. auf Vollstreckung des Beschlusses des deutschen Gerichts befasst. |
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19 |
Das vorlegende Gericht führt aus, es habe zunächst zu klären, ob ein Antrag auf Vollstreckung eines Beschlusses, mit dem Unterhaltspflichten wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden geregelt würden, unmittelbar bei dem für Unterhaltssachen zuständigen Gericht, im vorliegenden Fall beim Family Court (Familiengericht, Vereinigtes Königreich), gestellt werden könne oder ob er zuvor stets der in Art. 49 der Verordnung Nr. 4/2009 genannten Zentralen Behörde, d. h. im vorliegenden Fall dem Lord Chancellor (Lordkanzler), zur Weiterleitung an den Family Court (Familiengericht) durch die REMO vorgelegt werden müsse. |
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20 |
Hierzu gebe es voneinander abweichende Ansätze der nationalen Gerichte, wobei zwei Rechtssachen zu nennen seien. In der ersten Rechtssache sei das zuständige Gericht der Ansicht gewesen, dass ein Kläger seinen Antrag auf Vollstreckung einer Entscheidung unmittelbar an den Family Court (Familiengericht) richten könne und dass die nationalen Rechtsvorschriften, wonach die Zentrale Behörde zu beteiligen sei, fehlerhaft seien. In der zweiten Rechtssache, die sich nicht auf die Vollstreckung einer Entscheidung, sondern auf ihre Änderung beziehe, habe das zuständige Gericht Vorbehalte gegenüber dem Urteil in der ersten Rechtssache geäußert und die Auffassung vertreten, dass der Kläger seinen Antrag zwingend über die Zentrale Behörde stellen müsse. Die im Rahmen des Ausgangsverfahrens befragte REMO habe vorgetragen, bei der in den nationalen Rechtsvorschriften vorgeschriebenen Beteiligung der Zentralen Behörde handele es sich nicht um einen Fehler; die in Rede stehenden nationalen Vorschriften seien bewusst so gefasst worden. |
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21 |
In Anbetracht sowohl des Wortlauts der Bestimmungen des auf die Bundesrepublik Deutschland anwendbaren Kapitels IV der Verordnung Nr. 4/2009, einschließlich der Vorschriften seines Abschnitts 1, als auch des Zwecks der Verordnung müsse es möglich sein, einen Antrag auf Vollstreckung einer Unterhaltsentscheidung wie im Fall eines rein innerstaatlichen Sachverhalts unmittelbar an den Family Court (Familiengericht) zu richten. |
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22 |
Insoweit bestünden jedoch Zweifel, und die Frage stelle sich derzeit im Rahmen zahlreicher Rechtssachen im Vereinigten Königreich. |
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23 |
Unter diesen Umständen hat der High Court of Justice (England & Wales), Family Division (Hoher Gerichtshof [England und Wales], Abteilung für Familiensachen, Vereinigtes Königreich), beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
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24 |
In seinem Vorabentscheidungsersuchen hat das vorlegende Gericht die Anwendung des beschleunigten Verfahrens gemäß Art. 105 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs beantragt. Dieser Antrag wurde mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 27. Juni 2016, S. (C‑283/16, nicht veröffentlicht, EU:C:2016:482), zurückgewiesen. Mit Entscheidung vom 6. Juni 2016 hat der Präsident des Gerichtshofs die vorrangige Behandlung der vorliegenden Rechtssache angeordnet. |
Zur ersten Frage
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25 |
Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Bestimmungen von Kapitel IV der Verordnung Nr. 4/2009 dahin auszulegen sind, dass ein Unterhaltsberechtigter, der in einem Mitgliedstaat einen Titel erwirkt hat und dessen Vollstreckung in einem anderen Mitgliedstaat begehrt, seinen Antrag unmittelbar bei der zuständigen Behörde dieses Mitgliedstaats, etwa einem Fachgericht, stellen kann oder ob er verpflichtet werden kann, seinen Antrag über die Zentrale Behörde des Vollstreckungsmitgliedstaats einzureichen. |
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26 |
Zur Beantwortung dieser Frage bedarf es der Auslegung von Art. 41 Abs. 1 der Verordnung Nr. 4/2009, der sich auf das Vollstreckungsverfahren und die Bedingungen für die Vollstreckung einer in einem Mitgliedstaat ergangenen Unterhaltsentscheidung in einem anderen Mitgliedstaat bezieht. |
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27 |
Nach Art. 41 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung Nr. 4/2009 gilt vorbehaltlich ihrer übrigen Bestimmungen für das Verfahren zur Vollstreckung der in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen „das Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats“; gemäß Satz 2 wird eine solche Entscheidung „unter den gleichen Bedingungen“ vollstreckt wie eine im Vollstreckungsmitgliedstaat ergangene Entscheidung. |
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28 |
Aufgrund der Verweisung auf die Anwendung des Rechts des Vollstreckungsmitgliedstaats könnte Art. 41 Abs. 1 Satz 1 auf den ersten Blick dahin ausgelegt werden, dass ein Vollstreckungsmitgliedstaat in seinen Normen für das Vollstreckungsverfahren die Beteiligung der Zentralen Behörde des ersuchten Staats vorschreiben kann. |
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29 |
Dem Wortlaut von Art. 41 Abs. 1 Satz 2, wonach die Entscheidung „unter den gleichen Bedingungen“ zu vollstrecken ist wie eine im Vollstreckungsmitgliedstaat ergangene Entscheidung, könnte jedoch entnommen werden, dass Art. 41 Abs. 1 einer zwingenden Beteiligung der Zentralen Behörde entgegensteht, wenn dies – wie im Mitgliedstaat des vorlegenden Gerichts – bei rein innerstaatlichen Rechtssachen nicht vorgesehen ist. |
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30 |
Um zu klären, ob eine nationale Regelung wie Art. 4(4)(a), (b) und (c) von Anhang I der Civil Jurisdiction and Judgments (Maintenance) Regulations 2011 mit Art. 41 Abs. 1 der Verordnung Nr. 4/2009 im Einklang steht, obwohl ein Unterhaltsberechtigter wie Frau S. im Gegensatz zu einem Unterhaltsberechtigten im Rahmen rein innerstaatlicher Anträge das zuständige Gericht nicht unmittelbar anrufen kann, ist deshalb die Bedeutung des Begriffs „gleiche Bedingungen“ zu prüfen. |
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31 |
Dabei sind der Zweck der Verordnung Nr. 4/2009 und das System, in das sich ihr Art. 41 Abs. 1 einfügt, zu berücksichtigen. |
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32 |
Zum Zweck dieser Verordnung ergibt sich aus den vorbereitenden Arbeiten und insbesondere aus dem Grünbuch der Kommission vom 15. April 2004 über Unterhaltspflichten (KOM[2004] 254 endg.), dass der Gesetzgeber der Europäischen Union die unterhaltsrechtlichen Vorschriften in der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1) durch Vorschriften ersetzen wollte, die das Verfahren vor dem Vollstreckungsgericht angesichts der mit der Regelung von Unterhaltsansprüchen verbundenen besonderen Dringlichkeit erleichtern und damit beschleunigen. |
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33 |
Desgleichen hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass das mit der Verordnung Nr. 4/2009 verfolgte Ziel darin besteht, die internationale Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen so weit wie möglich zu erleichtern (Urteil vom 18. Dezember 2014, Sanders und Huber, C‑400/13 und C‑408/13, EU:C:2014:2461, Rn. 41). |
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34 |
Diese Ziele der Vereinfachung und Beschleunigung ergeben sich auch aus den Erwägungsgründen 9 und 27 der Verordnung Nr. 4/2009. Nach dem neunten Erwägungsgrund sollte es einem Unterhaltsberechtigten ohne Umstände möglich sein, in einem Mitgliedstaat eine Entscheidung zu erwirken, die automatisch in einem anderen Mitgliedstaat ohne weitere Formalitäten vollstreckbar ist. Gemäß dem 27. Erwägungsgrund besteht eines der Ziele der Verordnung Nr. 4/2009 darin, Formalitäten für die Vollstreckung, die Kosten zulasten des Unterhaltsberechtigten verursachen, so weit wie möglich zu reduzieren. |
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35 |
Darüber hinaus sind die Erwägungsgründe 31 und 32 der Verordnung Nr. 4/2009 anzuführen. In ihrem 31. Erwägungsgrund wird der Wille des Unionsgesetzgebers hervorgehoben, eine Zusammenarbeit zwischen den Zentralen Behörden einzurichten, um die grenzüberschreitende Durchsetzung von Unterhaltsforderungen zu erleichtern und die berechtigten Personen darin zu unterstützen, ihr Recht in einem anderen Mitgliedstaat geltend zu machen. Im 32. Erwägungsgrund der Verordnung wird die Inanspruchnahme dieser Unterstützung als „Recht“ bezeichnet. |
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36 |
Das System, in das sich Art. 41 Abs. 1 der Verordnung Nr. 4/2009 einfügt, spiegelt die genannten Ziele der Vereinfachung und Beschleunigung in Kapitel IV der Verordnung wider, und nach ihrem Kapitel VII kann die Unterstützung der Zentralen Behörden in Anspruch genommen werden. |
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37 |
So sieht keine Vorschrift des Kapitels IV („Anerkennung, Vollstreckbarkeit und Vollstreckung von Entscheidungen“), zu dem Art. 41 Abs. 1 gehört, ein besonderes, zu den im Rahmen rein innerstaatlicher Anträge anwendbaren Verfahren hinzukommendes Verfahren und insbesondere eine zwingende Beteiligung der Zentralen Behörden der Mitgliedstaaten vor. |
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38 |
In Bezug auf Entscheidungen, die in einem Mitgliedstaat ergangen sind, der wie die Bundesrepublik Deutschland durch das am 23. November 2007 in Den Haag abgeschlossene Protokoll über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht gebunden ist, wird nochmals hervorgehoben, dass die Zentralen Behörden nicht beteiligt werden müssen. In Abs. 1 des zu Kapitel IV gehörenden Art. 17 („Abschaffung des Exequaturverfahrens“) der Verordnung Nr. 4/2009 heißt es, dass solche Entscheidungen in einem anderen Mitgliedstaat anerkannt werden, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf. In Art. 20 Abs. 1 der Verordnung, der ebenfalls zu Kapitel IV gehört, sind die Schriftstücke aufgeführt, die der Antragsteller „den zuständigen Vollstreckungsbehörden“ vorlegt; dieser Wortlaut deutet darauf hin, dass die Aushändigung der Schriftstücke unmittelbar an die zuständigen Behörden erfolgt. |
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39 |
Die Befassung der Zentralen Behörden ist in dem ihre Zusammenarbeit betreffenden Kapitel VII der Verordnung Nr. 4/2009 vorgesehen. Gemäß Art. 51 Abs. 1 der Verordnung leisten sie bei Anträgen nach Art. 56 Hilfe, indem sie insbesondere diese Anträge übermitteln. Nach Art. 56 „kann“ eine berechtigte Person, die Unterhaltsansprüche geltend machen will, insbesondere die Vollstreckung einer im ersuchten Mitgliedstaat ergangenen oder anerkannten Entscheidung beantragen. In diesem Fall wendet sie sich gemäß Art. 55 der Verordnung an die Zentrale Behörde des Mitgliedstaats, in dem sie ihren Aufenthalt hat; diese hat den Antrag an die Zentrale Behörde des ersuchten Mitgliedstaats weiterzuleiten. |
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40 |
Aus den Art. 51 und 56 der Verordnung Nr. 4/2009 geht im Licht ihrer Erwägungsgründe 31 und 32 hervor, dass das Ersuchen um Unterstützung bei den Zentralen Behörden gemäß den Bestimmungen von Kapitel VII der Verordnung ein Recht und keine Verpflichtung ist. Es ist mithin fakultativ und findet nur Anwendung, wenn der Unterhaltsberechtigte es in Anspruch nehmen möchte, etwa um besondere Schwierigkeiten wie die Lokalisierung des Unterhaltsverpflichteten zu überwinden. |
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41 |
Die Verordnung Nr. 4/2009 sieht somit zwei verschiedene Arten der Anrufung der zuständigen Gerichte vor: unmittelbar, nach den Bestimmungen von Kapitel IV der Verordnung, oder über die Zentralen Behörden, wenn der Unterhaltsberechtigte um die Unterstützung der Zentralen Behörde seines Aufenthaltsmitgliedstaats ersucht, nach den Bestimmungen von Kapitel VII der Verordnung. |
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42 |
Diese Analyse wird durch den Wortlaut von Art. 45 der Verordnung Nr. 4/2009, der zu ihrem Kapitel V gehört, bestätigt. In dieser Bestimmung über die Prozesskostenhilfe werden ausdrücklich zwei verschiedene Wege unterschieden: Der Unterhaltsberechtigte kann einen Vollstreckungsantrag über die Zentralen Behörden „oder“ direkt an die zuständigen Behörden übermitteln. |
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43 |
Unter diesen Umständen verstößt eine Verpflichtung zur Beteiligung der Zentralen Behörde des ersuchten Mitgliedstaats, die dem Unterhaltsberechtigten, der sich auf der Grundlage des Kapitels IV der Verordnung unmittelbar an die zuständigen Behörden wenden möchte, durch eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende auferlegt wird und nach den Angaben des vorlegenden Gerichts mit zeitlichen Verzögerungen verbunden ist, im Licht des Zwecks der Verordnung Nr. 4/2009 und des Systems, in das sich ihr Art. 41 Abs. 1 einfügt, gegen diese Bestimmung. |
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44 |
Daher ist auf die erste Frage zu antworten, dass die Bestimmungen von Kapitel IV der Verordnung Nr. 4/2009 und insbesondere ihr Art. 41 Abs. 1 dahin auszulegen sind, dass ein Unterhaltsberechtigter, der in einem Mitgliedstaat einen Titel erwirkt hat und dessen Vollstreckung in einem anderen Mitgliedstaat begehrt, seinen Antrag unmittelbar bei der zuständigen Behörde dieses Mitgliedstaats, etwa einem Fachgericht, stellen und nicht verpflichtet werden kann, seinen Antrag über die Zentrale Behörde des Vollstreckungsmitgliedstaats einzureichen. |
Zur zweiten Frage
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45 |
Die zweite Frage betrifft die Konsequenzen einer Bejahung der ersten Frage für den Vollstreckungsmitgliedstaat und geht insbesondere dahin, ob eine Verpflichtung besteht, ein Verfahren oder einen Mechanismus für die unmittelbare Anrufung der zuständigen Behörde des Vollstreckungsmitgliedstaats vorzusehen. |
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46 |
Um dem vorlegenden Gericht eine sachdienliche Antwort zu geben, ist nicht nur festzustellen, ob die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, ein solches Verfahren oder einen solchen Mechanismus vorzusehen, sondern auch die dem nationalen Gericht in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens obliegende Verpflichtung näher zu erläutern. |
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47 |
Zur Umsetzung einer Verordnung ist darauf hinzuweisen, dass sie nach Art. 288 Abs. 2 AEUV in allen ihren Teilen verbindlich ist und unmittelbar in jedem Mitgliedstaat gilt. |
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48 |
Die unmittelbare Anwendbarkeit einer Verordnung setzt voraus, dass sie in Kraft getreten ist und zugunsten oder zulasten der Rechtssubjekte Anwendung findet, ohne dass es irgendwelcher Maßnahmen zur Umwandlung in nationales Recht bedarf, sofern die betreffende Verordnung es nicht den Mitgliedstaaten überlässt, selbst die erforderlichen Rechts-, Verwaltungs- und Finanzvorschriften zu erlassen, damit die Bestimmungen der Verordnung wirksam durchgeführt werden können (Urteil vom 14. Juni 2012, Association nationale d’assistance aux frontières pour les étrangers, C‑606/10, EU:C:2012:348, Rn. 72). |
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49 |
Im vorliegenden Fall sieht Art. 76 der Verordnung Nr. 4/2009, die ab dem 18. Juni 2011 Anwendung fand, eine gegenüber dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens am 20. Januar 2009 verzögerte Anwendung ihrer Vorschriften vor. In der Zwischenzeit oblag es den Mitgliedstaaten, gegebenenfalls ihr nationales Recht durch Anpassung ihrer Verfahrensvorschriften zu ändern, um jede Unvereinbarkeit mit der Verordnung Nr. 4/2009 zu verhindern und insbesondere Unterhaltsberechtigten wie Frau S. die Möglichkeit zu geben, ihr in der Verordnung vorgesehenes Recht auszuüben, sich unmittelbar an die zuständige Behörde des Vollstreckungsmitgliedstaats zu wenden. |
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50 |
Jedenfalls ist nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs das nationale Gericht, das im Rahmen seiner Zuständigkeit die Bestimmungen des Unionsrechts anzuwenden hat, gehalten, für die volle Wirksamkeit dieser Normen Sorge zu tragen, indem es erforderlichenfalls jede – auch spätere – entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewandt lässt, ohne dass es die vorherige Beseitigung dieser Bestimmung auf gesetzgeberischem Weg oder durch irgendein anderes verfassungsrechtliches Verfahren beantragen oder abwarten müsste (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile vom 9. März 1978, Simmenthal, 106/77, EU:C:1978:49, Rn. 21 und 24, vom 22. Juni 2010, Melki und Abdeli, C‑188/10 und C‑189/10, EU:C:2010:363, Rn. 43, und vom 4. Juni 2015, Kernkraftwerke Lippe-Ems, C‑5/14, EU:C:2015:354, Rn. 32). |
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51 |
In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen ist auf die zweite Frage zu antworten, dass die Mitgliedstaaten gehalten sind, für die volle Wirksamkeit des in Art. 41 Abs. 1 der Verordnung Nr. 4/2009 vorgesehenen Rechts Sorge zu tragen, indem sie gegebenenfalls ihre Verfahrensvorschriften anpassen. Das nationale Gericht hat jedenfalls die Bestimmungen von Art. 41 Abs. 1 der Verordnung anzuwenden, indem es erforderlichenfalls entgegenstehende Vorschriften des nationalen Rechts unangewandt lässt, und muss somit einem Unterhaltsberechtigten die Möglichkeit geben, seinen Antrag unmittelbar bei der zuständigen Behörde des Vollstreckungsmitgliedstaats zu stellen, auch wenn dies im nationalen Recht nicht vorgesehen ist. |
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52 |
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig. |
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Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Sechste Kammer) für Recht erkannt: |
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